Das grüne Fahrrad

Es war Anfang Mai. Mein Geburtstag stand bevor. Ich wurde 11 Jahre alt. In unserer Straße befand sich ein Geschäft mit Haushaltswaren. Dort gab es von Kochtöpfen und Kaffeeservice auch Fahrräder. Der Besitzer des Ladens war mit meinem Vater befreundet. Jeden Tag, wenn ich von der Schule kam, stand ich vor dem Schaufenster und schaute sehnsüchtig auf das grüne Fahrrad. Mein größter Wunsch war das Fahrrad, nur für mich. Manchmal durfte ich mit dem Rad meiner Mutter fahren. Das war ein alter Drahtesel. Mit dem bin ich mehrmals im Graben gelandet.

Jeden Abend stand ich am Tor und wartete auf meinen Papa, der mit dem Rad von der Arbeit nach Hause kam. Gemeinsam gingen wir hinter unser Haus, wo sich ein Schuppen befand. Dort stellte er sein Rad ab. Ich fragte: „Papa, ich wünsche mir so sehr das grüne Fahrrad, was bei Onkel Gustav im Schaufenster steht. Ich habe doch bald Geburtstag.“ Mein Vater legte den Arm um mich und erwiderte: „Mein kleines Mädchen, das ist sehr teuer. Den Wunsch können wir dir nicht erfüllen.“ Traurig trottete ich neben ihm her.

Dann aber sprach ich meine Oma an. Auch ihr erzählte ich von meinem Wunsch. Diese sah mich lachend an und sagte: „Wir sind doch keine Dukatenkacker.“
Endlich war es so weit. In der Nacht vor meinem Geburtstag tat ich kein Auge zu. Morgens sauste ich in die gute Stube, wo ja immer die Geschenke aufgebaut waren. Als ich hereinkam, lag nur ein Päckchen auf dem Tisch. Enttäuscht machte ich es auf. Draußen im Flur hörte ich meine Eltern und Großmutter „Wie schön, dass du Geburtstag hast“ singen. Ich öffnete die Tür und was sah ich? Das grüne Fahrrad! Freudestrahlend lief ich darauf zu und war überglücklich. Mein Wunsch hatte sich erfüllt.

© Anneliese Leding-Albani