Ein tierisches Drama

Gestern war ich auf dem Weg in die Innenstadt. In einer Nebenstraße beobachtete ich zwei ältere Herren, die gen Himmel schauten. Ich tat es ihnen gleich, aber für mein nicht geübtes Auge war dort nichts zu sehen, nur kahle Bäume ohne Blätter.

Als einer der Herren "Rocko" rief, schaute ich erneut, diesmal etwas genauer, doch noch immer konnte ich nichts erkennen und fragte den einen Herren nach dem Grund, was sie hier tun. Genervt zeigte er mit dem Zeigefinger in Richtung eines weißen Vogels, der dort oben auf einem Ast saß und sagte: "Seit 2 Stunden versuchen wir Rocko zu überreden, dass er endlich wieder zu uns nach unten kommt."

"Wie ist das denn passiert? Ist Rocko - inzwischen wusste ich, dass es sich um einen Kakadu handelt - Ihnen entwischt? Vielleicht aus dem Fenster geflogen?"

Mit einem Schmunzeln erklärte mir der freundliche Herr, dass Rocko fast täglich draußen herumfliegen darf und im Normalfall immer wieder eigenständig zu seinen Herrchen zurückkommt. Nur heute, ausgerechnet bei der klirrenden Kälte, war dies nicht der Fall.

Auf den Vorschlag, ihm bei solchen Ausflügen vielleicht ein Bändchen an der Kralle zu befestigen, zog sein Besitzer genau solch eines aus der Tasche und antwortete: "Das machen wir nur, wenn wir mit Rokko unterwegs in der Stadt sind - da ist uns das freie Fliegen zu gefährlich.

Im weiteren Gespräch erfuhr ich, dass Rocko gerade volljährig wurde. "Er ist 19 Jahre jung." Da ich Erfahrung mit unserem Kanarienvogel habe, konterte ich: "Das ist doch schon ein sehr reifes Alter?" Hier wurde ich eines Besseren belehrt: "Papageien können wie der Mensch 80 Jahre oder älter werden."

Da Rocko noch immer auf dem Ast ruhte, kam mir die Idee, die Feuerwehr zu rufen. "Das bringt doch nichts. Die fahren ihre Leiter aus und kaum sind sie in der Nähe von Rocko, fliegt dieser sofort weiter zum nächsten Baum. Der ist ja schließlich nicht doof!"

Ich ging weiter meines Weges und hoffte insgeheim, dass sich dieses "tierische Drama" bei meiner Rückkehr erledigt haben dürfte und so war es dann auch. Von den beiden Herren und ihrem gemeinsamen Freund, dem Kakadu Rocko, war weit und breit nichts mehr zu sehen. Offenbar war es dem kleinen Ausreißer zu kalt geworden und er war reumütig zu seinen Herrchen nach unten geflogen.

© Rainer Lüers