Ausgesperrt

Endlich war es gekommen: das Paket aus Aachen für meinen lieben Nachbarn. Er ist schlecht zu Fuß und weil es mit seinem Rollator eine kleine Ewigkeit dauert, bis er zur Tür kommt, gehen die gewünschten Sendungen an mich und ich bringe sie gerne hoch zu ihm in die 2. Etage.

Also Paket unter den Arm, den Schlüssel der anderen Wohnung in die Hand und los zum Aufzug. "Die Wohnungstür kannst Du schließen, den Schlüssel hast Du ja bei Dir" denke ich und schon bin ich ausgesperrt. Wie kann ich auch nur so blöd sein und seinen Schlüssel mit meinem gleich setzen.

Von dem einen auf den anderen Moment wird das Thema Paket für den Nachbarn zur Nebensache. Jetzt ist erst einmal wichtig: Wie komme ich wieder rein in mein Castle? Hatte ich nicht das Fenster vom Schlafzimmer noch auf? Also raus auf die Straße. Dabei muss ich allerdings die Haustür feststellen, denn wie sonst soll ich ohne Schlüssel wieder reinkommen.

Das Fenster habe ich natürlich akkurat geschlossen, bevor ich die Wohnung verließ, so ein Scheiß! Hätte ja auch komisch ausgesehen, wenn ich in die Wohnung durchs Fenster eingestiegen wäre. Überlegungen an ein gerade zufällig vorbeifahrendes Polizeiauto gehen mir durch den Kopf.

Nun erst einmal das Paket zum Nachbarn bringen. Er freut sich, sieht mir aber gleichzeitig meine Verzweiflung an. "Gibt es denn keine zweite Person, die einen Schlüssel hat?", fragt er hilfsbereit. Natürlich, meine Frau hat einen, aber sie ist zurzeit unterwegs im Münsterland. Und dann gibt es noch Nicole, die sich immer so lieb im Urlaub um unseren Kanarienvogel kümmert. Doch ihre Nummer habe ich nicht im Kopf.

Hier rächt sich mal wieder, dass man überall nur noch auf Telefonlisten zugreift: im Handy, im Festnetztelefon, im Tablet, aber diese Teile liegen samt und sonders unerreichbar in der verschlossenen Wohnung. Ich frage den Nachbarn nach seinem Handy. Doch auch hier kein Ergebnis. Wer steht heute denn noch im öffentlichen Telefonbuch? Nicole zumindest nicht. Ich suche die Nummer der Verwandtschaft meiner Frau im Münsterland. Volltreffer!

Es klingelt und der Neffe geht dran. Doch nach meinen ersten Worten legt er wieder auf. Wie sich nach mehreren verzweifelten Anrufen schließlich herausstellt, funktioniert das Mikrofon im Handy meines Nachbarn manchmal nicht. Also probieren wir es mit dem Festnetz. Diesmal kann man mich hören und Maria ruft direkt bei Nicole an.

Glücklicherweise ist sie erreichbar und will auch sofort kommen. Keine Selbstverständlichkeit, denn momentan backt sie nachts Kuchen und Brötchen und muss sich am Tag hinlegen. In meinen Augen dauert es noch eine kleine Ewigkeit, dann sehe ich sie mit dem Fahrrad kommen. Ich begrüße sie herzlich und irgendwie unheimlich dankbar. Mit einem "klack" öffnet sich wie von Zauberhand die verschlossene Tür und ich bin wieder zu Hause.

Danke Maria! Danke Nicole!

© Rainer Lüers