Kitsch

Es gibt Fälle, da der Nachwuchs mit einer in der Schule gestellten Aufgabe nicht zurecht kommt und die Eltern um Rat fragt. Die Aufgabe, die an einem Wochenende die ganze Familie beschäftigte, reduzierte sich auf die Frage: Was ist Kitsch? Nichts leichter als das, verkündete das Oberhaupt der Familie und sah seine kleinen Wochenend-Freuden nicht im geringsten gefährdet. „Also, Kitsch ist...“ Die Familie, die an den Lippen des Mannes hing, wartete vergebens auf die Vollendung des Satzes. Der Erstgeborene sprang eilfertig in die Bresche und erklärte Omas gesamte Nippes-Sammlung in der Glasvitrine kurzerhand zu Kitsch. Dies, konterte Mutter spitz, könne wirklich nicht im Raum stehen bleiben. Sie kenne solcherart leichtfertige Statements keineswegs Sachkundiger zur Genüge und erweiterte die Diskussion spontan noch um den Begriff Kunst.

Die Tochter, die mit ihrer Hausaufgabe den häuslichen Disput entfacht hatte, regte an, zu googeln. Gesagt, getan. Vater verlas laut und deutlich die gefundenen Ausführungen zu dem Thema. Sie waren nicht frei von Fremdwörter, deren Bedeutung ebenfalls nachgefragt wurde. Trotz emsigen Bemühens gelang es nicht, den Sinn des Begriffes Kitsch genau zu beschreiben. Dafür nistete sich die immer wieder auftauchende Vokabel trivial wie ein Virus in allen Köpfen ein. Das Thema erfasste von Mutter derart Besitz, dass sie damit begann, die im Familienbesitz Besitz befindlichen Gegenstände gedanklich nach Kitsch oder doch nicht Kitsch zu ordnen.

Vater sagte abschließend, für ihn sei das alles trivialer Quatsch und er wolle jetzt nicht mehr behelligt werden, sondern seine Ruhe haben. Die Tochter schrieb nun in ihr Heft: 'Ich glaube, Omas Nippes in der Glasvitrine ist Kitsch.' Als Oma das las, gab es Krach, weil ihr Nippes auf alle Fälle eines sei: antik. Und Antiquitäten seinen kein Kitsch.

© Jutta Gornik