Thomasnacht

Es ist Wintersonnenwende
Die frühe Dämmerung lässt Dezembernebel aufsteigen
In den Häusern bäckt man Hutzelbrot

Bäume und Sträucher tragen ein Rauhreifkleid
In der Gaststube sitzen ein paar Kartenspieler zusammen
Die Kellnerin teilt das Besteck für das Nachtmahl aus

Der Metzger ist dagewesen, und es gibt Kesselfleisch
Man pflegt den alten Brauch des Vollbauchabends in der Thomasnacht
Die Spitzkohlernte war gut, es gibt ihn als Beilage

Man öffnet ein Fass Bier, und fährt Holz zum Kachelofen
Gülden gefärbte Misteln stehen in den Vasen auf den Tischen
Man erzählt sich Gespenstergeschichten

Der Förster weiß von zugeschneiten Waldwegen zu berichten
Und von wundersamen silbernen Orchideen am Wegesrand
Vom Gesang der Waldfeen bei lieblichem Mandolinenklang

Niemand bemerkt den eintretenden Stromer
Der unbekannte Gast schüttelt güldene Birkenblätter aus seinem Gewand
Dazu rosengüldene Lärchenzapfen und Pfefferkuchen

Erst als die Tür wieder hinter ihm zufällt, wird man aufmerksam
Ein Duft von Tannengrün und Rosen erfüllt die warme Stube
Man tritt vor die Türe, und findet einen winterlichen Rosengarten

Der Unbekannte hat keine Fußspuren hinterlassen
Aber am Himmel strahlt ein Komet, der die Waldwiese erglitzern lässt
Harfenspiel klingt aus den Wolken

© Karin Stückl