Frohe Weihnachten, Herr Schupo!

Weihnachten, das ist die Zeit der Erinnerungen, der Bilder, der Gerüchte. Erlebnisse aus Kindertagen kehren ins Gedächtnis zurück. Vieles ist, als wäre es erst gestern gewesen.

Da ist die große Kreuzung. Und mitten drauf steht ein rundes Podest mit roten Signalstreifen. Auf dem Podest agiert ein Schupo, unser Schupo. Jeden Tag führt unser Schulweg an ihm vorbei. Der Mann in Uniform steht dort bei Wind und Wetter, breitet die Arme weit aus wie Zeiger und gibt damit eine Fahrtrichtung für Autos, Zweiräder und Fußgänger frei. Manche Verkehrsteilnehmer, die beim Abbiegen an seinem Podest warten müssen, halten ein Schwätzchen mit dem Mann dort oben. Ein Gruß im Vorbeifahren wird ihm allemal zuteil. Nach einer Weile signalisiert der hocherhobene rechte Arm allen Verkehrsteilnehmern: Halt! Eine zackige Wende mit dem ganzen Körper, die Arme fahren wieder weit aus und erlauben nun die Fahrt in die andere Richtung.

Bis zum Abend sorgte unser Schupo für reibungslosen Verkehrsfluss. Selbstverständlich auch am 24. Dezember. Oder besonders dann, denn gerade wird die Weihnachtshektik erfunden. Mitten im Schneegestöber, angetan mit einem weißen, glänzenden Schutzmantel und mit weißen Handschuhen, tut unser Schupo Dienst. Doch Seltsames geschieht an diesem Tag. Ungeachtet der Handzeichen und des warnenden Schrilltons der Trillerpfeife rollen viele Fahrzeuge bedrohlich nah an die Verkehrsinsel heran. Seitenfenster werden heruntergelassen, Hände stellen Weihnachtspäckchen vorsichtig an das Podest. Gegen Mittag sieht es rund um die Verkehrsinsel aus wie nach der Bescherung. Viele, viele Präsente, schön verpackt, umgeben den Mann.

Eines Tages dann ist das Podest weg und auch der Schupo. Hoch über der Kreuzung schwebt jetzt eine neumodische Signalanlage. Wie auf dem Zifferblatt einer riesigen Uhr kreist ein Zeiger, gibt beim Erreichen der grünen Zone die Fahrt frei und sperrt sie, ist er auf der roten Zone angekommen. Die Erwachsenen sagen begeistert, diese Anlage sei ein großer Fortschritt. Fortan ist der Heiligabend an der Kreuzung ein Tag wie jeder andere.

© Jutta Gornik