Im Esszimmer

Die frisch gewaschenen Gardinen sind aufgehängt
Die Wände wurden mit orangefarbener Tapete ausgestattet
Der Butler hat eine zitronengelbe Tischdecke aufgelegt

Die Köchin hat Apfelpudding zubereitet
Das Stubenmädchen hat die Flügel abgestaubt
Man erwartet den Poeten als Ehrengast

Am Vormittag hat man im Garten das letzte Fallobst aufgesammelt
Das zusammengerechte Laub würde dem Igel als Winterbleibe dienen
Den Rosenkohl würde man erst frisch zum Sonntagsessen ernten

Nun schlug die Standuhr im Esszimmer die dritte Nachmittagsstunde
Pünktlich hatten sich die Gäste der Literatenlesung eingefunden
Der Fallobst-Apfelpudding wurde serviert

Der angesagte Poet schien sich verspätet zu haben
Als endlich die Tür aufging, traute man seinen Augen nicht
Es war die Vogelscheuche aus dem Garten, die hereintrat

Sie trug ein silbernes Tablett mit einem Brief herein
Darin stand, der Poet ließe sich entschuldigen
Er sei heute einer schwarzen Katze begegnet, und fürchtete Unheil auf seinen Wegen

Als Ausgleich für die Unannehmlichkeit wollte er aber bald einen Dinner Krimi schreiben
Man möge der Vogelscheuche für diesen Anlass passende Abendgarderobe nähen
Ihr Wirken im Garten sei nicht selbstverständlich zu nehmen

Man entschied, den Tag mit einem Bridgespiel ausklingen zu lassen
Die Gäste überreichten der Vogelscheuche ein großzügiges Trinkgeld
Die abendliche Erbsensuppe verzehrte man nicht ohne Dankbarkeit gegenüber ihr

© Karin Stückl