Papier

Meine Beziehung zu Papier ist lang und intensiv. Sie geht zurück soweit ein Mensch sich in seinem Leben zu erinnern vermag. Erste Anzeichen von Kreativität bekundeten meine Strichmännchen im frühen Kindesalter, hingeworfen auf Papier und von den Eltern verwahrt. Eine Kindheit ohne Begleitung von Papier erscheint mir undenkbar, eine Schulzeit ebenso. In besonderer, liebevoller Erinnerung geblieben sind mir die Spickzettel, die für die Optimierung meiner Klassenarbeiten äußerst dienlich waren. Weniger Erfolg beschieden war meiner Liebeserklärung an einen Mitschüler, die auf einer aus einem Schulheft gerissenen Seite mit ewig klecksendem Füller Niederschrift fand und dann, vielfach gefaltet, heimlich durch die Bänke gereicht wurde, bis sie unglücklicher Weise dorthin gelangte, wo sie absolut fehl am Platze war: in die Hand und vor das Auge des Lehrers.

Poesiealbum, Tagebuch, Briefe an die geliebte Oma, schriftstellerische Erstversuche, mein Heranwachsen verschlang Berge von Papier. Bis auf den heutigen Tag ist mir eine Welt ohne Papier unvorstellbar, allen hofierten Neuerungen zum Trotz. Wie bereits in Kindertagen gehört für mich zum Lesegenuß immer das geheimnisvolle Rascheln und Knistern von Buchseiten. Ein Buch aus Papier ist ein Schatz, für den es, meiner Meinung nach, keine Alternative gibt. Andere Menschen empfinden das offensichtlich ähnlich, was erklärlich macht, dass Bücher so gut wie nie im Altpapier landen, sondern liebevoll von Mensch zu Mensch recycelt werden.

Papier der feinsten Art hat nach meiner Ansicht einen geheimnisvollen, geradezu elitären Wert, vergleichbar mit dem des Goldes. Nachvollziehbar ist, dass Bücher, die auf auserwähltem Papier entstanden sind, meist noch mit Goldschnitt und anderen Finessen der hohen Druckkunst veredelt, in jeder Hinsicht besonders kostbar sind.

Dem Chinesen, dem im 1. Jahrhundert nach Christus die Papierherstellung gelang, fühle ich mich auf besondere Weise in Dankbarkeit und Ehrerbietung verbunden.

© Jutta Gornik

Heute ist Tag des Buches