Das zweite Leben

Irgendwann steh' ich davor,
und klopf‘ am großen Himmelstor.
Bitte brav den alten Herrn:
Ich hätt' ein neues Leben gern.
Denn gerade eben
verging mein erstes Leben.

Also gut, mein Sohn ,
schallt es hoch vom göttlichen Thron,
dies wird dann nicht so viel zum Lachen,
doch du wirst vieles besser machen.
Keine Laster, ohne Sünden,
das muß ich vorher dir verkünden,
wird deine neue Vita sein.
Komm, schlag' in dieses Bündnis ein.

Fortan gelten der Gebote zehn,
dann soll dein Wille dir geschehn.
Ab jetzt sollst du ehrlich sein,
niemals größer wie der Schein.
Immer sollst du deine Nächsten lieben
sowie enthaltsam sein von allen Trieben.

Verbannt sind Nikotinzigaretten,
verpönt zu viele Fleischbuletten.
Keiner sagt noch oft zum Wohl
mit einem Schlückchen Alkohol.
Du wirst kein schlechtes Zeugnis reden,
auch wenn Menschen sich entblöden.

Lüstern darfst du auch nicht schauen,
auf der Andern Ehefrauen.
Und wirst du selbst ein Mädchen finden,
wirst du dich bis zum Tode binden.
Auch vor der Hochzeit keusch und rein,
diese Bedingung stell‘ ich ein.

Vorbei ist es mit Lust und Lügen
oder Andere gar betrügen.
Dies wird jetzt dein Leben – komm,
in Seligkeit und wirklich fromm.
So sprach der Herr vom höchsten Streben
und ließ die Himmelstüre beben.

Mit Schreck vernehm‘ ich dies Beschreiben
und denk‘ warum, mit Unbehagen,
sollt‘ ich diesen Umweg wagen.
Da könnt ich gleich auf Erden bleiben.

© Hartmut Otto