Der dicke Tom

„Wir haben einen Neuen“, erzählte Max, als er aus der Schule kam. „Er heißt Tom und ist fett. Er hat dicke Backen. Im Gesicht und in der Hose.“ Die Mutter merkte sofort, das ihr Sohn Tom nicht leiden mochte. Aber sie sagte zunächst einmal nichts. Bald schon hatten sich in der Klasse alle von Tom abgewendet. Nur Lisa, die so schüchtern war, dass sie stets wenig und ganz leise sprach, schien sich mit ihm anzufreunden. Keiner verstand das. Immer wieder wurde Tom Ziel von Hänseleien. Er musste sich viel Hässliches anhören. Und es kam sogar zu Rangeleien. „Was ist eigentlich mit deinem neuen Mitschüler?“, fragte Mutter Max eines Tages unvermittelt. „Wie war doch sein Name? „Tom! Der dicke Tom“, antwortete Max. In seiner Stimme schwang Verachtung. „Ach der! Keiner kann ihn ausstehen. Nur Lisa geht mit ihm.“ Warum kann ihn keiner ausstehen?“ „Na, weil er so dick ist!“, antwortete Max. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass Tom wahrscheinlich unglücklich und traurig ist, weil er dick ist und ihn alle deswegen nicht mögen?“

„Nö“, antwortete Max. Und schwieg. „Kommt es denn bei einem Menschen darauf an, wie er aussieht oder zählt, wie er ist? “, fragte Mutter. Max gab keine Antwort. Er zuckte nur mit den Schultern. Aber er dachte über Mutters Einwand nach. „Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du an Toms Stelle wärst“, fragte seine Mutter weiter. Es war eine Weile still. Dann meinte Max. „Eigentlich ist Tom ja ganz nett, hilfsbereit und kameradschaftlich. Er ist auch ziemlich schlau. Aber eben dick.“ „Wenn das alles ist, was du gegen ihn hast, kann ich dich wirklich nicht verstehen“, beendete die Mutter das Gespräch.

Am nächsten Tag in der großen Pause gesellte sich Max wie zufällig zu Tom, der alleine auf dem Schulhof stand und Löcher in die Luft guckte. „Hey, Tom, hast du Lust heute Nachmittag mit mir ins Freibad zu gehen?“ Da zog ein Strahlen über Toms obere dicken Backen.

© Jutta Gornik