Lang belichtet

In des Junis Monatsmitte
ist es naturgemäß so Sitte,
dass am längsten ist der Tag
und keiner gern ins Bette mag.
Auf Balkonen und Terrassen
heißt es am Abend „Essen fassen“
von des Grilles heißer Kohle,
und man hört: “Zum Wohl, zum Wohle!“.

In der morgendlichen Helle
ist man im Garten dann zur Stelle,
wie am Abend seinesgleichen
den Pflanzen nun das Wasser reichen.
Sie werden es uns üppig danken
mit wachsen, blühen und mit ranken.
Und zu den langen Junitagen
Kann man auch noch dieses sagen:

Wenn in Poetenköpfen ranken
so manche seltsame Gedanken,
dann bringt man sie auf das Papier
ganz ohne Leuchte, glaube mir.
Es braucht auch nicht der muntere Dichter
wie im Winter Kerzenlichter,
alles, was das Licht entfaltet,
wird im Juni abgeschaltet.
Stromlos quasi wird gedichtet,
mitsommerlich und lang belichtet.

© Roland Rothfuß