Zwischenwelt

Die Geräte stören. Sie piepen. Auf ihren Displays flitzen farbig Daten, Linien und Kurven. Eine große runde Uhr mit schwarzen Ziffern und Zeigern ist in deinem Blickfeld. Tag und Nacht. Du trägst ein Flügelhemd Es hat ein kleines Muster. Früher waren diese Kleidungsstücke weiß, entsetzlich weiß. Deine Augen wandern ziellos, bleiben für einen Moment an meinen hängen. Ich kann nicht erkennen, ob du mich wahrnimmst. „Ja, zeitweise ist er wach, dann ist er wieder sehr schläfrig“, sagt der Arzt. Deine Füße sind eiskalt. Wärmend lege ich meine Hände darüber. Sieht so eine Endstation aus? Mir treten Tränen in die Augen. Früher hättest du dir sofort ein solches Hemd vom Leibe gerissen. Früher warst du immer elegant angezogen. Du warst stets auf dein Äußeres bedacht. „Nein, er hat keine Schmerzen, wir sorgen dafür“, versichert der Arzt. Ich sitze in diesem erbärmlichen Krankenzimmer neben deinem Bett. Es ist nur zweckmäßig. Vor kurzem noch konntest du dich gemütlich betten. Auf dem Gang kommen und gehen Angehörige von Patienten. Das Personal hat nicht ihren behutsamen Schritt. Es eilt hörbar im Arbeitstempo. Schwer Erkrankte sind auf dieser Station Alltag. Auch Sterben ist hier alltäglich. Ich halte deine Hand. Du drückst sie. Forschend blicke ich dich an. Willst du damit etwas sagen oder ist es nur ein Reflex? Deine Augen schauen jetzt wach. Sie sehen mich an, und dann sagst du laut und deutlich: „Wollen wir jetzt gehen?“ „Wohin?“, frage ich. Es kommt keine Antwort. Deine Augen wandern schon wieder ziellos. Du bist abgetaucht in eine Zwischenwelt. Der Sekundenzeiger rückt im Takt über das Zifferblatt der großen Uhr.

© Jutta Gornik