Hin und wieder kam Joachim auf der nächtlichen Straße noch ein Fahrzeug entgegen. Der Mann am Steuer fühlte sich erschöpft. Und er war schuldbewusst! Er hatte seiner Tochter versprochen, an diesem Abend endlich ihr erlerntes Klavierstück in Ruhe anzuhören. Jetzt ging es bereits auf Mitternacht zu. Am Morgen hatte alles noch danach ausgesehen, als gäbe es einen pünktlichen Feierabend. Kurz davor jedoch wurde überraschend eine Konferenz anberaumt, der sich weitere unaufschiebbare Gespräche anschlossen.
In Joachims Kopf kreisten die Gedanken um die Frage, ob der Preis, den ihm seine Position abverlangte, in Hinblick auf sein privates Leben zu hoch war. In seiner Familie spielte er zunehmend nur noch eine Gastrolle. Seine Lieben hatten sich daran gewöhnt; er hatte sich auch daran gewöhnt. Doch irgend etwas in seinem Inneren wehrte sich immer heftiger dagegen, weil er als Mensch mit seinen ureigensten Bedürfnissen eigentlich gar nicht mehr vorhanden war. Und wie ist es, als verheiratete Frau mit einem Mann zu leben, der so wenig Zeit zu Hause verbringen kann? Wie fühlt es sich für Kinder an, wenn der Vater nur hin und wieder mal herein schaut und ansonsten bloß zum Schlafen da ist?
Von dem Leben, wie er es seiner Frau einmal versprochen hatte, war wenig erfüllt worden. Die beruflichen Zwänge, die ihn vereinnahmten, ließen kaum Freiraum für die Seinen und für ihn ebenso wenig. Dachte er an die Zukunft, würde sich das bis zum Eintritt in sein Rentenalter eher verstärken, denn vermindern. Ihm war es längst schon klar geworden, dass er sich rasend geschwind in einem Teufelskreis drehte. Seine Familie hatte er ungefragt darin eingebunden.
Er stellte das Auto ab, nahm sein Notebook, das ihn öfter begleitete, als seine Frau es tat, vom Autositz und ging zur Haustür. Er schloss leise auf und trat ins Innere des Hauses. Ein vertrauter Geruch schlug ihm entgegen. Er sog ihn ein. Der Geruch aller, die er liebte, und die zu ihm gehörten, war darin enthalten. Er bildete sich ein, an der Intensität dieses Geruchs sogar erkennen zu können, wer im Haus und wer abwesend war. Nächtliche Stille lag in allen Räumen. Nur aus dem Wohnzimmer drang ein Lichtstrahl. Er hörte Stimmen. Sie kamen nicht von Besuchern, sondern aus dem Fernsehgerät. Seine Frau war auf ihrem Ruhesessel davor zur Seite gesunken. Ihre Augen waren geschlossen. Auf ihrem Schoß lag in der leicht geöffneten rechten Hand die Fernbedienung. Jetzt, als er auf Anne zu trat, öffnete sie die Augen und sah ihn wie aus weiter Ferne an. „Verzeih“, flüsterte er, „dass es wieder spät geworden ist.“ Bei diesen Worten küsste er sie auf die Stirn. „Gut, dass du da bist!“, murmelte sie, und schon senkten sich wieder ihre Augenlider. Er hing seinen Mantel an den Garderobenhaken. Dann machte er seine Runde durch das Haus. Vorsichtig öffnete er die Türen zu den Kinderzimmern. Es war alles in Ordnung. Plötzlich durchströmte ihn, den müde gearbeiteten und zweifelnden Mann, ein unbeschreiblich wohliges und beglückendes Gefühl. Er war daheim.
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