Der erste Marzipanstollen

Nun ist es brach und kahl im Garten
Der Dezember schickt seine Boten, und es dunkelt täglich früher
Ich knete den ersten Marzipanstollenteig

Das Rezept fand ich im Kochbuch einer Pfarrersköchin
Es liegt aufgeschlagen vor mir auf dem Küchentisch
Neben den Zeilen ist ein Bild von der Zuckerfee aus dem Nussknacker Ballett

Die Zuckerfee steht auf einer Spieldose, die darauf wartet aufgezogen zu werden
Ich bewundere die Anmut der Zuckerfee, und ihr seidenes Kleid
Neben ihr ist eine Zeichnung von einer Mokkatasse aus einer Puppenstube

Als ich den Marzipanstollen in den Ofen schiebe, öffne ich das Fenster
Dunkelgraue Wolken eilen am Himmel dahin
Bald wird der Garten verschneit sein

Als ich das Fenster wieder schließe, nehme ich Platz auf der Ofenbank
Der Marzipanstollen im Ofen duftet im ganzen Haus
Ich entzünde ein Tannenduft-Kegelchen im Räuchermännchen

Die Zuckerfee aus der Kochbuchseite schaut mir direkt in die Augen
Ich hole den Nussknacker aus dem Glasschrank, damit sie nicht so alleine ist
Die Walnüsse aus dem Garten lege ich daneben

Ich gedenke der Sommertage auf der Bank, die rund um den Walnussbaum gezimmert ist
Wo grüne Blätter mir Schatten gaben, wehen nun kühle Winde
Die warme Stube ist nun mein Aufenthaltsort

Aus dem Keller hört man Geräusche von quartiersuchenden Mäusen
Als der Marzipanstollen fertig ist, koche ich mir ein Kännchen Mokka
Nussknacker und Zuckerfee sind nun meine Gäste, und wir werden uns viel zu erzählen haben

© Karin Stückl