Glück auf Zeit 305


Nach dem Golfwochnenende hatte Carmen jeden Tag bei Markus übernachtet. Wenn Sie Spätdienst hatte, holte er sie von der Bücherei ab, und sie gingen noch gemeinsam in den Kastenwirt zum Abendessen, ehe sie Markus' Appartement aufsuchten.
Morgens stand sie vor Markus auf, kochte Kaffee und bereitete ein leckeres Frühstück mit frischen Semmeln zu. Nachdem Markus zur Arbeit gefahren war, versuchte sie etwas Ordnung in seine Junggesellenbude zu bringen. Sie saugte die Auslegware, wischte den Laminatboden, staubte die Möbel ab und bearbeitete sie mit Möbelpolitur. Sie säuberte das Waschbecken, die Dusche und die Toilette. Sie polierte sämtliche Spiegel und putzte sogar die Fenster. Carmen befürchtete, dass sich Markus selbst bisher wenig darum gekümmert hatte.
Markus betrachtete ihren Fleiß mit Wohlwollen und mußte feststellen, dass es auch Vorteile hatte, wenn Carmen bei ihm wohnte. Er brauchte sich überhaupt nicht mehr um den Haushalt bemühen, und trotzdem sah seine Wohnung viel sauberer und ordentlicher aus.
Am Dienstag und am Donnerstag mußte Carmen vormittags arbeiten. Und als Markus am Abend nach Hause kam, hatte sie ein köstliches Abendessen vorbereitet, und sie war einkaufen gewesen.
Auch für Carmen waren es traumhafte Tage, obwohl sie weitaus mehr zu tun gehabt hatte als auf Stinau. Am Freitag wollte Carmen nach der Arbeit nach Stinau fahren, um sich dort mal wieder sehen zu lassen. Außerdem benötigte sie neue Wäsche, und auch Markus hatte zwei Taschen Schmutzwäsche gepackt, die Carmen auf Stinau waschen sollte. Die Hausgemeinschaft verfügte zwar über einen Keller mit Waschmaschine und auch einen großen Trockenraum, doch Markus hasste es, dieselbe Waschmaschine wie andere, fremde Menschen nutzen zu müssen und seine kostbaren Klamotten in einen Gemeinschaftstrockenraum zu hängen. Deshalb hatte er von Beginn an seine Wäsche zu seiner Mutter nach Stinau gebracht, die froh darüber war, denn so konnte sie gewiß sein, dass sie ihren Sohn wenigstens ab und zu zu Gesicht bekam. Seit Carmen auf Stinau wohnte, war es freilich an ihr, sich um Markus' Wäsche zu kümmern. Und schließlich tat sie es gern für ihn.
Carmen seufzte, als sie den Motor ihres Autos anließ. Den heutigen Abend würde sie also auf Stinau verbringen. Markus hatte angeblich nach Feierabend noch eine Besprechung. Es würde spät werden, hatte er vorgebeugt. Er wollte am Samstagmittag zum Essen nach Stinau kommen. Das hatte er mit seiner Mutter so vereinbart und dann würden sie entscheiden, wie sie das Wochenende verbrachten.
Somit war eigentlich schon klar, dass es Carmen wieder nicht schaffte, ihre Schwester im Krankenhaus zu besuchen. Aber sie hatte sich fest vorgenommen, Petra heute Abend einen langen Brief zu schreiben.
Carmen fuhr über die Dörfer nach Stinau. Die Sonne schien noch. Es war mild, und zum ersten Mal fiel ihr bewußt auf, dass auf den Wiesen und in den Gärten nicht nur Schneeglöckchen, sondern auch schon Krokusse zu sehen waren. Vor einigen Häusern breiteten sich Blumenteppiche aus. Es schien endlich Frühling zu werden. Es wurde auch Zeit.
Nur ganz vereinzelt an einigen schattigen Stellen konnte man noch Schneehaufen entdecken. Das Frühlingserwachen verbesserte Carmens Stimmung. Auch wenn sie Markus heute nicht mehr sehen würde, so wollte sie sich doch an der herrlichen Natur erfreuen und vielleicht sogar mit Anne und Lena einen Spaziergang machen.

© Ingrid Hartung