Glück auf Zeit 168


Carmen hatte alle Sachen, die sie aus ihrer Wohnung in Steinhöring brauchte, in eine große Reisetasche gepackt. Die Skiausrüstung, die ihr Markus gekauft hatte, befand sich bereits gut verpackt in seinem Appartement. Es war ihr peinlich gewesen. Aber er hatte darauf bestanden, ihr eine Top-Skiausrüstung zu schenken. Und das, obwohl sie noch kein einziges Mal auf Abfahrtsski gestanden hatte. Sie sah totchic aus in ihrem hellblauen Skioverall und den dunkelblauen Schi, aber sie war noch nicht einen Hang heil heruntergekommen. Sie hatte die Skiausrüstung nur im Sportgeschäft anprobiert und die weißen Schischuhe auf die Schibindung einstellen lassen.
Markus hatte charmant abgewunken und ihre Bedenken mit der Aussage zerstreut, dass sie nach zwei Tagen Schischule mit ihm jede schwarze Piste hinunterbrausen würde. Carmen war sich da ganz und gar nicht so sicher. Sie wollte vorab mit Markus auf dem Glonner oder Ebersberger Skilift wenigstens einmal üben, aber leider lag dort nicht genügend Schnee, und Markus meinte auch, diese Idiotenhügel wären für ihn tabu.
Daraufhin hatte sich Carmen vorgestellt, dass Markus vermutlich wie Ingemar Stenmark die Pisten hinunter preschte.
Allmählich wurde der Skiurlaub für sie ein Albtraum. Hinzu kam, dass Petra und Alex erst zwei Tage später anreisen würden, und das eigentlich nur, um mit ihnen auf der Josefsrast Silvester zu feiern. Natürlich war es zu riskant für Petra, jetzt, da sie mit den Zwillingen schwanger war, einen Skikurs zu absolvieren. Dabei hatte sich Carmen so sehr darauf gefreut, mit ihrer Schwester gemeinsam das Schifahren zu erlernen. Aber Alex, dieser lüsterne Schwachkopf, hatte es wieder einmal hervorragend geschafft, ihr diese Begeisterung zu nehmen. Sie gab ihm die Schuld daran, dass Petra und sie sich zunehmend entfremdeten. Eigentlich konnte sie sich nur darüber wundern, dass Petra und Alex überhaupt mit ihr und Markus Silvester feiern wollten. Aber noch war nicht aller Tage Abend. Sie konnten immer noch absagen.
Es klingelte an der Tür. Da Carmen allein in der Wohnung war, öffnete sie die Tür. Vor ihr stand der Postbote mit einem Brief in der Hand, etwas ungewöhnlich kurz nach 17 Uhr. "Ich habe hier ein Telegramm für Carmen Wehners.", sagte der junge Mann etwas unsicher. Telegramme enthielten häufig Hiobsbotschaften, dachte Carmen. Daher war seine zögernde Haltung verständlich. "Ja, das bin ich.", sagte sie rasch. Er reichte ihr den Umschlag und bat sie, den Erhalt zu quittieren. Sie nickte stumm und unterschrieb. "Danke!", sagte er rasch und war bereits im Begriff zu gehen. "Ich danke ihnen auch.", rief Carmen ihm nach und schloss die Wohnungstür. Eilig riß sie den Umschlag auf.
Dann las sie folgende Zeilen:
'Liebe Carmen, lieber Markus,
Wir haben heute Nachmittag in Bischofsgrün geheiratet.
Tschüß bis übermorgen.
In Liebe Petra und Alex.'

© Ingrid Hartung