Glück auf Zeit 93


Kalle war überrascht gewesen, als Alex ihn anrief und kurzerhand mitteilte, er würde am Sonntagmittag wieder auftauchen, aber nur um ein paar Sachen zusammen zu packen und bis Montag zu übernachten. Dann wollte er nach Köln aufbrechen, wo er zumindest für die nächsten 4 Wochen bei einer Zeitarbeitsfirma unter Vertrag stand. Alex hatte ihn gebeten, am Sonntag zu Hause zu sein, damit sie noch einige wichtige Dinge absprechen konnten. Kalle hatte selbstverständlich zugesagt.
Er bereitete gerade das Mittagessen vor, was in der Regel Alex' Aufgabe war. Es sollte Chili con carne geben, ein mexikanisches Gericht, das mittels Hackfleisch, Kidneybohnen und einem Soßenfix binnen kurzer Zeit hergerichtet war. Er wußte, dass Alex dieses Essen mochte. Es war gar nicht schwer, Alex einen kulinarischen Gefallen zu tun. Er aß fast alles und viel zu gern, was man ihm inzwischen auch ansah seit er mit Petra zusammen war und seine sportlichen Aktivitäten aufgegeben hatte.
Kalle leerte sein Whiskyglas. Das prickelte angenehm. Er spülte mit Bier nach. Hoffentlich kam Alex bald, sonst würde er, vom Alkohol überwältigt, bald einschlafen. Und dabei war es erst Mittag.
Kalle wußte, dass er ein Problem hatte, nein genau genommen war er in viele Schwierigkeiten verstrickt. Er hatte Alex gegenüber sein Versprechen gebrochen. Er tat zwar nach wie vor so, als ginge er noch in die Lehre. Tatsächlich hatte ihm der Betrieb vor zwei Wochen gekündigt, weil er, wie in dem Kündigungsschreiben stand, häufig zu spät oder gar nicht zur Arbeit erschienen war. Er hatte Alex hintergangen. Und vielleicht war es ganz gut, wenn Alex für einen Monat wegging. Möglicherweise könnte sich in dieser Zeit etwas Neues für ihn ergeben. Ihm war es ein Rätsel, warum Alex diesen Job in Köln angenommen hatte. Er würde nicht in seiner Wohnung leben, und er wäre von Petra getrennt.
Kalle war klar, dass er gute Miene zum bösen Spiel machen mußte, und er hoffte, dass Alex so sehr mit sich und seiner Eitelkeit beschäftigt war, dass ihm nicht auffiel, dass Kalle seine eigenen Wege ging, fernab von irgendwelchen Vereinbarungen.

© Ingrid Hartung