Glück auf Zeit 68


Kalle wußte nicht, was er in dieser Nobelsuite wollte, und was noch viel verhängnisvoller war, er konnte nicht sagen, was in der letzten Nacht hier geschehen war. Vielleicht war das sogar gut so. Irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass er sich verdammt gut gefühlt hatte, aber andererseits war ihm klar, dass er selbst keinen Einfluß mehr auf seine Emotionen gehabt hatte. Im Moment fühlte er sich schwach und völlig ausgelaucht.
Die Tür des Badezimmers öffnete sich. Richy, ein weißes Handtuch um die Hüfte geschlungen, betrat den Raum. Er grinste, seine feuchten, dunklen Haare hingen schwer herab, was seine Hakennase noch deutlicher betonte. "Na, wie fühlst du dich?", wollte Richy, einen prüfenden Blick auf Kalles blasses Gesicht gerichtet, wissen. Er lächelte, und Kalle erkannte deutlich das Lächeln des Triumphes. Aber den gönnte er diesem Kerl nicht. Kalle versuchte, ebenfalls zu schmunzeln. "Es geht mir bestens", antwortete Kalle. "Das freut mich zu hören.", gab Richy galant zurück. "Wollen wir zusammen frühstücken?", fragte er höflich. "Es ist fast 15 Uhr.", bemerkte Kalle diskret. "Na und, hast du heute vielleicht schon etwas zu dir genommen?", gab Richy zurück. Kalle hielt es für besser zu verschweigen, dass er die Flasche Cognak geleert hatte. "Nein, nicht wirklich.", erwiderte er gelassen. Richy begab sich zur Bar. Er holte kommentarlos eine neue Flasche Cognak heraus und zwei neue Gläser. Er schenkte ein und ließ in jedes der Gläser eine Tablette fallen. "Ich hole uns noch ein Bier gegen den Durst.", verkündete er, ehe er die Stufen hinab verschwand.
Kalle war es elend zumute, aber er wußte auch, dass er noch eine ganze Menge mehr aushalten konnte. Das hier war immer noch besser, als zu seinem Vater zurückzukehren, der ihm ständig predigen wollte, wie er zu leben hatte.

© Ingrid Hartung