Mein Erlebnis mit dem Nikolaus im Jahr 1952/53

In der Nacht vor dem Nikolaustag hatte ich kaum geschlafen. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt. Meine Eltern und meine Großmutter saßen am Abend in der Küche und warteten mit mir auf den Nikolaus. Endlich war es so weit. Es klopfte an der Haustür. Mein Vater sprang auf und ich hörte ihn im Flur mit dem Nikolaus reden. Beide kamen in die Küche. Ehrfurchtsvoll sah ich den alten Mann an. Er trug einen roten Mantel mit einer Kapuze. Sein langer Bart war zerzaust und auf dem Rücken trug er einen großen Sack. Eine dicke Kordel war um seinen Bauch gebunden, in der die Rute steckte. Langsam setzte er seinen Rucksack ab und kam auf mich zu. In seiner Hand hielt er ein Buch, in dem er blätterte. „Nun, du bist die kleine Annelie. Warst du auch immer brav?“
Ich sah meine Eltern und meine Oma an, die mir lächelnd zunickten.
„Ja, ich war immer brav“, kam leise über meine Lippen.
„Dann sag mir doch ein kleines Gedicht auf.“
Gott sei Dank, hatte ich mit meiner Großmutter eins eingeübt. Es war kurz. Er öffnete den Sack und gab mir ein kleines Päckchen in die Hand. Wieder schaute er in sein Buch und ging auf meinen Papa zu. „Du warst nicht brav. Dafür muss ich dich bestrafen.“
Er hob seine Rute. In dem Moment bin ich dazwischen gesprungen und habe laut gerufen: „Mein Papa ist der liebste Papa auf der Welt. Den darfst du nicht schlagen.“
Schnell verabschiedete sich der Nikolaus.

© Anneliese Leding-Albani

Noch heute ist mir der Abend deutlich in Erinnerung. Später wurde mir erzählt, dass der Nikolaus unser Nachbar war. Man hatte sich über mein mutiges Einschreiten köstlich amüsiert.