In einem Land, weit vor unserer Zeit, lebte ein berühmter Herrscher. Wenn dieser Herrscher nicht mehr weiterwusste und auch all seine Berater keine Lösungen kannten dann bat er eine alte Eremitin in seinen Palast. Diese alte, weise Frau lebte einen halben Tagesmarsch vom Palast entfernt, in einer alten und gemütlichen Waldhütte am See. Nur selten kam sie in die Stadt, um Handarbeiten zu verkaufen oder um sie gegen Dinge einzutauschen, die sie für ihr bescheidenes Leben noch benötigte.
Wenn sie wieder in der Stadt und auf dem Markt kam, dann schickte der Herrscher einen seiner Berater zu ihr, um sie in den Palast einzuladen. So war es auch an diesem Tag. Gerade als sie den Palast betreten wollten, sahen sie, wie einer Dienstmagd des Herrschers ein großer Korb mit Äpfeln aus den Händen glitt und zu Boden fiel. All die Äpfel rollten kreuz und quer über den Boden des Palasthofes. Sofort eilte ihr die alte Frau zu Hilfe und sie sammelte, zusammen mit der Magd, alle Äpfel wieder in den Korb. Da die Magd es auch sehr eilig hatte, war sie über diese Hilfe sehr dankbar.
Der Berater des Herrschers, der die Eremitin begleitete, sah sie verwundert, fast schon empört an und fragte sie: „Warum gebt ihr euch, eine Frau, welche die Gunst des Herrschers genießt, mit Menschen ab, die hier im Palast die niederen Arbeiten verrichten?“ Die Alte sah den Berater sanft an und sagte: „Nur weil deiner Meinung nach die Arbeiten niedrig sind, so sind es nicht die Menschen, die sie verrichten. Außerdem denke ich, dass es keine niederen Arbeiten gibt, nur niedrige Löhne, die all die wichtigen und erforderlichen Dinge, die getan werden müssen, nicht wertschätzen.“
„Und das, was diese Magd dort tut, soll eine wichtige Arbeit sein?“, fragte der Berater. „Ich weiß, der Herrscher ist ein kluger Mann, der keine unnötigen Kosten duldet“, erwiderte die Alte. „Warum sollte er eine Person beschäftigen und auch bezahlen, die keine wichtigen Arbeiten verrichtet?“ Was sind denn wichtige Arbeiten und was sind unwichtige, wollte der Berater wissen.
Die Frau schwieg eine Weile und dann antwortete sie: „Ich möchte mir nicht anmaßen darüber zu urteilen, welche Arbeit wichtig und welche Arbeit nichtig ist. Ich möchte nur deinen Blick darauf lenken, welche Arbeiten mehr Wertschätzung erhalten sollten und wie Menschen behandelt werden, die sie verrichten. Darum rate ich dir einmal zu überlegen, ob es auffallen würde, wenn bestimmte, vermeintlich „geringe“, Arbeiten nicht getan werden und welche Folgen es dadurch auch für dich haben könnte. Aber bedenke auch andersherum, welche Art von Arbeit nicht auffallen würde, wenn sie nicht gemacht wird, ganz gleich wie viel für diese Arbeit bezahlt wird.“
Und während sie das sagte, sah sie den Berater verschmitzt an. Abschließend, fast mit sich selber redend, sagte sie: „Wir geben jeder Arbeit und jedem Menschen einen Wert, egal, ob sie es auch tatsächlich wert sind. Aber wie es so oft ist, ändert sich der Wert einer Sache, aber auch der eines Menschen mit dem jeweiligen Bedarf.“
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