Der Alte

In dem kleinen Dorf in den Bergen herrschte Aufregung. Eine Familie war zugezogen. Seit langem war so etwas nicht mehr passiert. Die Neuen brachten außer vier Kindern auch einen alten Mann mit, der wohl der Großvater war. Im Gegensatz zu den anderen aus der Sippe war der Alte viel unterwegs, und dies, obwohl er wegen einer Gehbehinderung auf einen Stock angewiesen war. Oft sahen die Dorfbewohner den Weißhaarigen dann später über lange Zeit auf der abgewetzten Bank unter der Linde auf dem Dorfplatz sitzen. Er bewegte sich nicht, und manchen wollte es dünken, als sei alles Leben aus ihm gewichen. Eines Tages näherte sich ein älterer Dörfler dem Alten, grüßte artig und fragte, ob dieser Platz auf der Bank noch frei sei, wobei er auf die linke Seite neben dem Mann deutete. „Jetzt noch, aber wenn Sie sich setzen, nicht mehr, gab der Weißschopf verschmitzt zur Antwort. Nach einer Weile fragte der Hinzugekommene. „Was tun Sie hier immer so lange auf der Bank?“ „Ich sehe den Kindern beim Spielen zu. Ich sehe den Wolken zu. Ich denke über das Leben nach.“ Dann schwieg der Alte. Der Nachbar schwieg ebenfalls und dachte nach. Dann richtete er abermals das Wort an den Alten. „Ist das auf die Dauer nicht langweilig?“ „Was gibt es Wichtigeres zu tun, als den Kindern beim Spielen zuzuschauen, den Wolken beim Ziehen am Himmel und über das Leben nachzudenken?“, antwortete der Alte. Dann verstummte er und saß wieder unbeweglich, als sei alles Leben aus ihm gewichen.

© Jutta Gornik