Glück auf Zeit 350


Im Laufe des Abends hatte Markus rasch begriffen, dass die beiden Schwestern nach einer Gelegenheit suchten, sich unter vier Augen zu unterhalten. Allein Alex wußte das geschickt zu verhindern. Obwohl er sich kaum am Gespräch beteiligte, war er doch niemals weiter als einen Meter von Petra entfernt. Meist lag sein Arm auf ihrer Schulter, oder seine Hand strich unter dem Tisch über ihren Oberschenkel.
Carmen zog gerade in amüsanter Weise über ihre Teilnahme am Golftreffen her, Markus konnte ihr den Widerwillen in ihrer Stimme nicht einmal übelnehmen, als Alex höhnisch bemerkte. "Da bist du ja in die High Society Bayerns aufgestiegen, Carmen. Meinen herzlichen Glückwunsch." Petra sah ihn beunruhigt an. "Was soll das, Alex?", fragte sie streng. "Es war lediglich eine Feststellung.", meinte er bestimmt und lächelte verschwommen. Petra wußte, dass er bereits zu viel Whisky getrunken hatte, um seinen guten Vorsatz, nett zu ihren Gästen zu sein, einhalten zu können.
Carmen, deren rotbäckiges Gesicht etwas voller geworden war, hatte ebenfalls schon einige Gläser Sekt indus, und sie sah keinesfalls ein, warum sie ihren Schwager schonen sollte, wenn der sie so offen angriff. "Du mußt dich wohl nicht aufregen, Alex! Du gehörst doch inzwischen ebenfalls zu den sogenannten Neureichen. Oder weshalb kannst du es dir plötzlich leisten, meine Schwester in diesen goldenen Käfig einzusperren, nur um sie von allen anderen Einflüssen fernzuhalten? Da geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu, oder?"
Sie blinkerte Alex mit ihren rehbraunen Augen herausfordernd an. Markus erkannte die Gefahr der Eskalation zuerst. Er erhob sich, bevor Alex Carmen zu nahe treten konnte. "Das reicht jetzt, Carmen. Alex hat sich das alles mit seinen Händen erarbeiten müssen.", gab er zu bedenken. "Ja, natürlich", entgegnete Carmen spitz. "An Geist und Grips ist ja bei ihm nicht viel zu erwarten."
Alex ging einen Schritt auf Carmen zu, im Begriff, sie hart bei den Schultern zu packen, doch Markus trat ihm entgegen. "Alex, sie meint es nicht so. Komm mit!" Markus, der sehr wohl gemerkt hatte, dass Alex der Whisky bereits zu Kopf gestiegen war, und auch Carmen zu viel Sekt getrunken hatte, wollte alles daran setzen, um eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Alex und Carmen zu vermeiden, denn diese würde vermutlich in einer Katastrophe enden. Er mußte Alex zur Vernunft bringen, der drauf und dran war, Carmen gegenüber gewalttätig zu werden. Und er konnte nicht einmal sagen, wie er an Alex' Stelle reagiert hätte. Carmen hatte ihn arg gedemütigt.
Markus nickte Petra kurz zu und gab ihr somit ein Zeichen, sich um ihre Schwester zu kümmern. Er fasste Alex bei den Schultern und meinte. "Ach Alex, ich glaube, ich kriege doch wieder ein bißchen Hunger." Alex warf noch einen kurzen, unheilvollen Blick auf Carmen und seine Frau. Dann leerte er sein Whiskyglas und sagte mißtrauisch. "Lass uns in die Küche gehen, Markus." Markus schob Alex in die Traumküche der Kerners, um Carmen und Petra die Möglichkeit zu geben, sich auszusprechen, und er hoffte, sie würden einander näher kommen, aber andererseits befürchtete er, dass Carmens Hass auf Alex zu groß war. Und was Alex betraf, so war Markus fest davon überzeugt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Darin mußte er Carmen recht geben.

© Ingrid Hartung