Glück auf Zeit 139


Sebastian sagte sich, dass er Anne eigentlich bewundern sollte. Klein und schmächtig wie sie war, verrichtete sie tagein tagaus schwere Arbeit auf dem Hof und außerdem bemühte sie sich, ihre gemeinsame Tochter Lena im Sinne seiner Familie zu erziehen. Und nun erwartete sie ihr zweites Kind von ihm, das hoffentlich ein Junge werden würde.
Sebastian war froh, sie wieder nach Stinau geholt zu haben. Er wußte, wie hoch sie bei seinen Eltern und auch bei seinen Brüdern im Kurs stand. Alle mochten sie, und er wünschte sich sie ihn auch wieder gern haben konnte. In den letzten Monaten hatten sie sich gefühlsmäßig sehr weit voneinander entfernt, und das war nicht nur ihre Schuld gewesen. Er war es, der sein Glück in fremden Betten gesucht hatte.
Anne war stets ihren Verpflichtungen auf dem Hof und denen als Mutter nachgekommen. Als sie fortgegangen war, wurde ihm klar, dass er sie unterschätzt hatte. Er glaubte, sie wäre bedingungslos an ihn gebunden, doch das war sie offensichtlich nicht. Diese Erkenntnis machte ihm Angst. Er spürte, dass er seine Bequemlichkeit einschränken mußte, wenn es für sie eine gemeinsame Zukunft geben sollte. Und das war die Voraussetzung dafür, dass er den Hof erbte. Das hatte ihm sein Vater deutlich zu verstehen gegeben. Immerhin gab es noch anderthalb Söhne, und ausgerechnet Markus' neue Flamme schien sich auf dem Hof pudelwohl zu fühlen. Das beunruhigte ihn.
Sebastian schlich sich in Annes Schlafzimmer. Seitdem sie wußte, dass er sie betrogen hatte, bestand sie darauf. Er sah, dass sie sich in ihre Decke eingewickelt hatte, so als würde sie frieren. Er küßte sie auf die Stirn. Ihr Körper zuckte zusammen. Er hatte sie geweckt. Sie lächelte ihn an. Er streichelte ihr Haar. "Anne, darf ich heute Nacht zu dir kommen?", fragte er vorsichtig. Sein Körper bebte vor Verlangen. Sie nickte. "Nimm mich in die Arme, Seb. Ich habe das so lange vermisst." Er kroch unter ihre Decke.

© Ingrid Hartung