Glück auf Zeit 73



Alex war froh, als sie endlich in Steinhöring angekommen waren. Die Autofahrt mit dem Transporter hatte ihn angestrengt und hinzu kam noch das quälende Gefühl, dass Petras Eltern mit Sicherheit wußten, dass er ein Versager war. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, wann sich Petra von ihm trennen würde.
Er parkte das Auto. Petra, die Mädchen hatten auf einem Parkplatz das Steuer gewechselt, kam mit dem Opel Corsa neben ihm zum Stehen. Sie stieg aus. Er ging auf sie zu und küßte sie zärtlich, bemerkte aber an ihrer abwehrenden Haltung, dass das wohl keine so gute Idee gewesen war. Er sah Kalles Rosenstrauß auf der Ablage im Corsa liegen und in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er sich nicht besonders taktvoll verhalten hatte. Carmen warf ihm einen strafenden Blick zu, ehe sie auf den Klingelknopf des zweistöckigen Hauses klingelte.
Eine junge, dunkelhaarige Frau öffnete die Tür, und ein kleiner blondgelockter Junge im Alter von ungefähr zweieinhalb Jahren rannte laut "Papa!" rufend auf Alex zu. Alex nahm das Kind in seine Arme und wirbelte es herum. Er hielt ihn mit ausgestreckten Armen vor seinen Körper und stellte ihn dann wieder auf den Boden. Der Kleine juchzte vor Freude. Die junge Frau stammelte verlegen. "Entschuldigen Sie, es tut mir leid, aber Nicky scheint immer noch zu glauben, sein Vater kommt zu uns zurück. Wir leben seit einiger Zeit getrennt." Alex gab dem Jungen einen Nasenstupser."Sie müssen sich nicht entschuldigen.", sagte er sanft und seine goldbraunen Augen waren mit einer hingebungsvollen Wärme auf die Frau gerichtet, die Petra um ein Haar eifersüchtig werden ließ. "Der Kleine vermißt seinen Vater. Das ist doch ganz normal."
Carmen stellte Andrea ihre Geschwister vor und Alex reichte der jungen Frau ebenfalls die Hand. "Ich bin Alex, Petras Freund.", erklärte er ohne Umschweife. "Ich heiße Andrea.", entgegnete sie freundlich. Carmen sah Alex prüfend von der Seite an, als sie in die Wohnung gingen. "Ich wußte gar nicht, dass du so kinderlieb bist, Alex.", sagte sie höhnisch. "Hast du vielleicht schon welche in die Welt gesetzt?" "Nein!", sagte er bestimmt. Das habe ich nicht. Aber ich werde es mit Sicherheit tun." Er nahm Petra bei der Hand und lächelte ihr bedeutungsvoll zu. Petra erwiderte sein Lächeln, doch Carmen schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte ihre Schwester nur auf einen so widerlichen Kerl hereinfallen?
Andrea lud alle zu einer Tasse Kaffee und Kuchen ein. Nicky saß die ganze Zeit auf Alex' Schoß, der ihn liebevoll hin- und herwiegte und "Hoppe, hoppe Reiter" sang. Petra fiel auf, dass er eine schöne sonore Stimme hatte. Und überhaupt, wie er sich mit dem kleinen Jungen befaßte! Sie spürte deutlich, wie sehr sich Alex nach einer Familie sehnte. In diesem Augenblick liebte sie ihn umso mehr.
Als sie das Auto ausluden, sagte Petra zu Alex. "Andrea ist ein lieber Mensch. Ich glaube, sie wird Petra gut tun. Und der Kleine ist ja auch ganz süß." Alex legte seine Hand auf ihre Schulter. "Ja, es tut mir nur leid, dass er seinen Vater so vermißt. Petra, wenn wir einmal Kinder haben, werde ich immer für sie da sein. Das verspreche ich dir.", sagte er wehmütig. Sie konnte nicht ahnen, wie schmerzlich sie sich dieser Worte erinnern würde.

© Ingrid Hartung