Glück auf Zeit 66


Kalle hatte es seinem Freund zwar nicht übel genommen, dass er es vorzog, den Abend mit Petra zu verbringen,
aber es störte ihn insofern, da er nun niemanden hatte, zu dem er gehen und bei dem er die Nacht verbringen konnte. Er wußte, dass er auf keinen Fall nach Hause zurückkehren wollte, zumindest nicht in den nächsten Tagen. Sicher könnte er zu Wochenbeginn bei Alex aufkreuzen. Petra mußte ja wieder nach Berlin fahren. Aber wo sollte er diese Nacht verbringen?
Es war kalt und regnerisch, man spürte, dass es bereits November war. Die Zeiten, in denen man irgendwo draußen nächtigen konnte, waren längst vorbei. Im Studentenclub wollte er sich nicht blicken lassen. Er hatte nicht das Bedürfnis, und wohl auch nicht den Mut dazu, Nicole zu begegnen. Er wollte sie überhaupt nie wiedersehen. Es war dumm gewesen, sich mit ihr einzulassen. Hätte er es nicht getan, wäre er vielleicht jetzt mit Carmen im Gartenhaus. Bei dem Gedanken daran wurde ihm spürbar wärmer, aber dass es nur eine Illusion war, ließ ihn erneut erschauern.
Während er überlegte, wohin er gehen könnte, führte ihn sein Weg in den Club, wo er so oft mit Carmen und auch schon mit Alex gewesen war. Er nahm auf einem der Barhocker Platz und öffnete seine Lederjacke, denn hier war es wesentlich wärmer als draußen, allein durch die Menschenmenge. Andy, der Barkeeper wandte sich ihm zu. "Hallo, Kalle! Magst du einen Whisky?" Kalle nickte stumm. "Und ein Bier!", fügte er hinzu. Wenige Minuten später brachte Andy die Getränke.
Hinter ihm tauchte plötzlich ein Mann auf, der Kalle sehr wohl bekannt war. Es war Richy, der Typ mit der Hakennase. Er setzte sich neben Kalle. Er hatte ebenfalls ein Bier und einen Whisky geordert. "Na so ein Zufall!", er grinste verschmitzt. "Sind wir uns nicht schon begegnet?" Kalle nahm einen Zug von seiner Zigarette. Richy legte eine Hand auf Kalles Schulter. "Was hältst du davon, wenn wir beide heute so richtig einen draufmachen?" Kalle senkte den Blick. Richy winkte Andy heran und bestellte zwei neue Whisky. "Heute zeige ich dir, wo ich wohne!", sagte Richy stolz, als wäre das eine Auszeichnung für Kalle. In diesem Moment wußte er, dass er sich keine Sorgen mehr bereiten mußte, wo er diese Nacht verbringen sollte. Es würde alles seinen Gang gehen...

© Ingrid Hartung