Glück auf Zeit 64


Carmen glaubte natürlich, Petra sei noch am Abend nach Berlin gefahren. Sie hatte das sehr bedauert, denn ehe sich ihre Schwester auf den Weg machte, hatten sie sich endlich wieder einmal vertraulich unterhalten so wie in der Zeit, bevor es zum Bruch zwischen Kalle und ihr gekommen war, als Alex sich noch nicht in ihr Leben gedrängt hatte.
Carmen hatte Petra gesagt, dass sie Alex' Angebot, den Umzug zu realisieren, sehr schätzte. Aber sie fügte mißbilligend hinzu, dass er sich ihre Anerkennung nicht so billig erkaufen könne. Carmen war der Meinung, dass Alex nicht ehrlich war oder zumindest zwei Gesichter hatte. Sie wollte Petra davon überzeugen, dass ihre Einstellung zu Alex überhaupt nichts mit Kalle zu tun hatte. Aber sie bezweifelte, dass ihr das gelungen war. Wenn sie ehrlich war, bereitete es ihr Vergnügen, Alex zu quälen, weil er es so wehrlos hinnahm. Er wurde unsicher und schien an seinem Ego zu zweifeln. Seine Bodybuilding-Figur war nur Atrappe, er versuchte damit zu vertuschen, dass er im Grunde seines Herzens ein Mensch war, der sich selbst nicht vertrauen konnte.
Wer war er überhaupt? Weshalb fühlte sich ihre Schwester zu ihm hingezogen?
Alex hatte etwas zu verbergen, dessen war sich Carmen ganz sicher. Sie traute ihm nicht. Sie ahnte, dass Petra sehr enttäuscht werden würde, wenn sie mit Alex zusammenblieb. Sie konnte nicht sagen, was es war, aber sie wußte es mit ziemlicher Bestimmtheit. Der Blick seiner goldbraunen Augen hatte etwas an sich, das Unsicherheit, eine stetige Angst vor dem Versagen, verriet.

© Ingrid Hartung