Glück auf Zeit 12

Böses Erwachen

Kalle erwachte, blickte auf seine Armbanduhr und erschrak. Er hätte schon längst in der Werkstatt sein müssen, doch als er sich umblickte, erkannte er, dass er sich immer noch im Gartenhaus seines Vaters befand. Er erhob sich von der Schlafcouch, verstaute die Decken, die Nicole und er offensichtlich dazu benutzt hatten, um sich zuzudecken, im aufklappbaren Unterbett, schob es wieder zurück und ließ den Blick in der Laube schweifen. Es sah einigermaßen ordentlich aus, nur seine Jeans konnte er nicht finden.
Nicole schien eine Frühaufsteherin zu sein, jedenfalls war sie, und alles, was zu ihr gehört hatte, schon weg. So, als wäre sie nie hier gewesen. Er konnte sich einreden, er hätte die vergangene Nacht nicht mit ihr verbracht. Das konnte Kalle in Anbetracht der mit Sicherheit folgenden Auseinandersetzung mit Carmen nur Recht sein. Er musste irgendetwas erfinden, falls er mit Nicole im Club gesehen worden war. Er würde so tun, als ob er aus Wut und Eifersucht, weil Carmen so vertraulich mit ihrem Kollegen umgegangen war, sich rächen wollte, und deshalb ein anderes Mädchen geküsst hatte. Für den Fall aller Fälle, vielleicht hatte ihn Carmen ja noch zu erreichen versucht, musste er Alex dafür gewinnen, ihm ein Alibi für die Nacht zu geben. Das sollte nicht allzu schwer werden, denn Alex schien offenbar etwas an ihrer aufkeimenden Freundschaft zu liegen. Endlich entdeckte er seine Jeans unter dem Tisch. Er zog sie an. In seiner Hast übersah Kalle die fast leere Rotweinflasche und die beiden Gläser, von denen eins noch halbvoll war.
Er beeilte sich, das Gartenhaus zu verlassen. Schnellen Schrittes lief er nach Hause, um zu duschen und seine Kleidung zu wechseln. Glücklicherweise hatten sein Vater und Marika die Wohnung bereits verlassen. Auf dem Küchentisch neben seinem Frühstück, den Marika geschrieben hatte. "Carmen hat gestern Abend und heute früh angerufen. Du sollst dich bei ihr melden. Kalle errötete.
Als er eine Viertelstunde später in die Werkstatt kam, sah ihn Alex vorwurfsvoll an. "Mensch, beeil dich, der Alte ist stinksauer. Du stehst echt auf der Abschussliste." Kalle interessierte das im Moment wenig. Er legte eine Hand auf Alex Schulter. "Ich brauche deine Hilfe." Es klang verzweifelt. Alex sah ihn zweifelnd an "Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?", fragte er beunruhigt. "Ich brauche dringend ein Alibi für die vergangene Nacht." Alex stöhnte. "Wir reden später, in Ordnung." Kalle nickte stumm, denn auch er hatte den Meister nahen sehen, der die Baustellenaufteilung vornehmen wollte.

© Ingrid Hartung